03-05-2018 unverhofft kommt

Es gibt Tage, da wächst du schon energiegeladen auf, springst quasi den Tag direkt aus dem Schlafsack an - und es gibt Tage wie heute. Ich ließ mir Zeit mit dem aufstehen und verließ die Unterkunft schließlich gegen 7:30 Uhr - da war Silwyn schon eine gute Stunde unterwegs, obwohl er heute nur 17 km gehen will. Er möchte in der nächsten Stadt bleiben und noch ein Museum besuchen bevor er weitergeht. Ich möchte das nicht, ich möchte möglichst nahe an Tempel 28 heranlaufen, mein Zelt aufschlagen und den Tempel dann morgen früh besuchen. Die Strecke führt heute weitgehend am Pazifik entlang, genauer gesagt auf einem fast 15 km langem Rad/Fußweg. Kurz vor Mittag gibt es Osettai in Form von gratis Kaffee. Eine alte Lady hat neben ihrem Garten in dem sie arbeitet eine ganze Hütte mit Bastel - und Papierfaltarbeiten und lädt alle vorbeikommenden Pilger zum verewigen auf eine Tasse Kaffee ein. Diese Arbeiten seien für sie Training für die Hände und den Geist - gut gegen Demenz.

Als ich dann in Konan City angekommen bin, gab es so ziemlich keine geeigneten Schlafplätze - die Hotels waren waren alle voll, in der Stadt fand zusätzlich noch irgendein Festival statt .... und so stand ich um 15:30 Uhr plötzlich vor Tempel 28. Okeeee - also mal die Räucherstäbchen und Kerzen bereitlegen .... da spricht mich ein junger Mann an, und fragt wo ich denn heute übernachten wolle - er schliefe hier in der Tempelanlage, und im dem Raum sei auch Platz für einen weiteren Pilger, ich könne mir das ja anschauen. Gesagt - getan. In dr nähe des Offices (wo gestempelt und kalligraphiert wird, ist eine Art Lagerraum, in dem sich zwei Holzpritschen befinden - der junge Mann, Alejandro aus Spanien, hat gefragt ob man da übernachten könne und es war ihm erlaubt worden. Prima - ich gehe heute nicht mehr weiter als zur Toilette. OK, wahrscheinlich auch noch zurück von dieser.

Alejandro ist aus Galizien und spricht toll englisch, da er 6 Monate in Kansas auf der Uni war. Er geht nur einen Teil des Shikoku, weil er die Zeitdauer eher unterschätzt hatte und außerdem noch andere Sachen in Japan vorhat. Aber auch er will zurückkommen und die Pilgerrunde komplett begehen. Er ist ein lustiger Bursche und wir reden stundenlang, bevor wir uns gegen 19:00 Uhr in unser Schlafgemach zurückziehen - um weiter zu reden, über Gott und die Welt. Da klopft es plötzlich an der Tür und Sol aus Chile steckt ihren Kopf herein - sie und ihre Begleitung (Kelly aus Holland) hatten es nicht rechtzeitig bis zur Tempelsperrstunde um 17:00 Uhr geschafft und auch nicht wirklich einen brauchbaren Zeltplatz gefunden - wie ich.

Wir überlegten kurz ob der Raum groß genug für alle wäre, aber Männlein und Weiblein zusammen, auf dem Tempelgelände, in einem Raum ... uiui, das wollten wir nicht riskieren. Die beiden Hikerinnen werden also einen Geeigneten Zeltplatz oberhalb des Tempels beziehen und sich morgen früh ihre Stempel holen. 

Fazit des Tages: es  kommt meistens anders ... egal was man denkt.

04-05-2018 Auf nach Kōchi

Aufgewacht - und losmaschiert. Es ging einige Kilometer an endlos scheinenden Reisfeldern vorbei, bevor nach knapp zwei Stunden pilgern T29 erreicht war. Eine willkommene Pause dahin war ein kurzer Stop am Zelt von Frau Sakka, die jedem Pilger Kaffee und Gebäck bot. Arigato!

T29 ist ein schöner Tempel in einer großen Anlage mit viel Grün. Nach 40 Minuten Aufenthalt ging es weiter Richtung Kōchi City, der Provinzhauptstadt. T30 befand sich ziemlich unspektakulär gelegen am Ortsrand - dort machte ich etwas länger Rast und nach und nach trudelten Kelly, Sol und Alejandro ein. Wir waren uns nicht einig, wie die Nacht verbracht werden sollte, in einem Hotel (wegen der Dusche) oder zeltend, weil in einem Guidebook stand, dass man oberhalb von T31, bei einem Radiotower recht gut zelten könnte.

Wir verschoben die Entscheidung auf später, und wollten uns kurz vor dem Tempel bei einem Family Markt nochmals treffen. Kelly und ich trafen dort zuerst ein, und es stellte sich heraus, dass wohl alle Hotels in ganz Kōchi noch wegen der “Goldenen Woche” belegt sein. Das Wetter sah gut aus, darum einigten wir uns das mit dem zelten dort oben am Tempel zu versuchen. Jeder deckte sich noch mit Proviant und Bier ein - und los ging’s. Der anstrengende, steile Aufstieg wurde durch den bezaubernden Tempel wieder gut gemacht, und die Aussicht von der Bergspitze hinunter auf Kōchi war sagenhaft.

An dem besagten Radiotower wurde gebaut, der Bereich war abgesperrt - aber genau daneben befindet sich ein Aussichtspunkt und der kleinen “Godaisan Park”. Wir beschlossen etwas abzuwarten und nach dem Abzug der mobilen Eis- und Getränkeverkäufer unsere Zelte im Park aufzubauen. So ganz geheuer war uns dabei nicht, weil das hier kein üblicher Öffentlicher Park war, wir wir sie bisher kannten.

Wir alberten umher und tranken unser Bier und gerade als wir zum auserkorenen Lagerplatz aufbrechen wollten, kamen zwei Radfahrer angefahren. Es stellte sich heraus, dass es Heike und Ludwig aus Ostdeutschland waren (53 und 61), die ihren Ruhestand etwas vorverlegt haben und nun seit fast einem Jahr durch die Welt radeln. Sie waren in Russland, Usbekistan, China und Indien, sind nun in Japan und wollen noch weiter nach Neuseeland, Australien und dann in Südamerika hinunter bis Patagonien. Sie planen erst 2020 wieder zurück in Deutschland zu sein. Das ist so was von klasse und beneidenswert - wir waren völlig von den Socken. Welch eine fantastische Idee, die sie 10 Jahre mit sich herumtragen und nun endlich umsetzen - viel Glück weiterhin! 

Wir bauten die Zelte auf, aber der benachbarte Parkplatz da oben am Aussichtspunkt war die ganze Nacht von lauten, jungen Japanern frequentiert. Klar, Freitagnacht .... wir waren auch alle mal jung. (In einem anderen Jahrtausend). 

Es war wieder ein anstrengender, heißer 26,5 km Tag und mein Körper sehnt sich nach einer Badewanne und einer Matratze....

05-05-2018 es tempelt wieder

Wie schon geschrieben, entpuppte sich unser Campingspot als etwas laut - Partypeople und in Kochi selbst heulten irgendwie andauernd irgendwelche Sirenen. Als ich dann noch anfing von der Arbeit zu träumen musste ich aufstehen. Ganz schnell. Um 6:30 Uhr war ich unterwegs zu T32 - Kelly war schon dort, als ich ankam. Sie ist gut im Training, weil sie gerade 4,5 Monate in Australien gewandert ist - und es ist bereits ihr zweiter Shikoku. Von T32 hatte man eine sehr schöne Aussicht zurück auf den Strand von Kochi. 

Anschließend ging es dann am Meer entlang Richtung Fähre - wir hatten Glück und bereits nach Minuten kam eine und wir setzten kostenlos über. T33 lag nicht weit von der Fähre und gehört auch zu der Fraktion der kleineren Tempeln. Kaum aus dem Stadtgebiet heraus, kam die Sonne endgültig zum Vorschein und es wurde wieder richtig heiss. Tempel 34 ist auch eher unspektakulär und liegt direkt an einer vielbefahrenen Straße. 

Von hier waren es noch knapp 11 Kilometer zum T35, aber soweit wollte ich es heute nicht kommen lassen. Meine beiden kleinen Zehen schmerzten und die Innensohlen meine Schuhe haben mittlerweile wohl das dämpfen komplett eingestellt. Ich beschloss mir heute ein Zimmer in einem Businesshotel zu gönnen um endlich mal wieder ein „richtiges“ Bett spüren zu können (40 EUR). Ich lief also noch bis nach Tosu City und bezog mein 12qm-Reich. Ich packte mich so gut es ging komplett in die Miniwanne/erhöhte Dusche und gönnte meinen Füßen und dem Rest etwas Wasserzeit.

Danach humpelte ich zum nächsten Lokal wo es mir nach anfänglichen Schwierigkeiten dich noch irgendwie gelang eine Misosuppe mit Ramennudeln, Hünchen und ein Bier zu bekommen - lecker! Danach meinen ersten japanischen ”Laundromat” besucht - ist wie in den USA, nur auf japanisch.

Zum Tempel sind es knapp eine Stunde, ich werde versuchen früh loszuziehen und mein Gepäck im Zimmer zu lassen. Der Tempel hat den gleichen Hin- und Rückweg und der checkout im Hotel ist um 10:00 Uhr. Spar ich mir den schweren Rucksack. 

Laut Wettervorhersage soll es morgen Nachmittag dann anfangen zu regnen ... und das wohl mindestens für 2 Tage!

 

06-05-2018 Marathon

Ahhh ... so in einem Bett schlafen hat schon was, auch wenn es etwas kurz ist (Bett und Zeit). Um 6:30 Uhr bin ich mit leichtem Gepäck RichtungT35 gestartet. Der Tempel liegt wunderschön hoch an einem Berghang, und der Ausblick ist atemberaubend. Auf dem Weg hinauf bin ich Sol begegnet, die im Tempel übermachet hatte und nunmehr auf dem Weg zu T36 war. Kelly (NL) hatte auch im Tempel übernachtet und schon sehr früh aufgebrochen.

Nach dem Tempelbesuch lief ich zurück ins Hotel, packte zusammen und machte mich dann ebenfalls auf den Weg zum nächsten Tempel. T36 liegt auf einer kleinen Insel und man muss über eine lange Brücke laufen um dahin zu kommen. T36 ist meiner Meinung nach überragend - man muss wieder gefühlte 328 Steintreppen hinter sich bringen um zum Haupttempel zu gelangen, aber das lohnt sich wirklich. Haupt- und Nebentempel liegen nebeneinander und diverse Heiligenfiguren aus Stein, eingebettet in den umgebenden Wald, runden die Szenerie ab

Am Tempel traf ich Sol und wir diskutierten ob wir den bergigen Henrotrail folgen sollten, der als hügelig und ohne Wasser beschrieben wurde oder die Straße zurück und um die ganze Bucht herum. Wir beide beschlossen aufgrund des bereits einsetzenden Regens die sichere Variante der Straße zu wählen. Das war eine lange Tour, mit mal mehr und mal weniger Regen.

Von Kelly wusste ich, dass sie in Susaki in einem Guesthouse übernachtete. Ich schrieb ihr eine Nachricht und fragte ob noch ein Schlafplatz frei sei - sie bejahte und ich bekäme das größte Zimmer! Also beschloss ich ebenfalls dahin zu laufen, auf Zelten im Regen hatte ich keine große Lust. Sol schlug ich Zelt in einer Henrohütte am Weg auf - und ich lief weiter bis Susaki City - das war insgesamt ein unerwarteter 42 km Tag für mich ... und das merkte ich in den Beinen. 

Eine lange Dusche und eine hoffentlich gute Nachtruhe in Mais Guesthouse würden mich hoffentlich wieder fit werden lassen.