Tag 139

Der Regen hatte sich in der Nacht gelegt und so konnten wir den Tag trocken und bei Sonnenschein beginnen. Wir machten uns an die restlichen 400 Höhenmeter des Anstiegs – und staunten nicht schlecht über die weiß gezuckerten Gipfel rings um uns herum. Aber es kam noch besser, weiter oben hatte es in der Nacht geschneit – bis zu 10 cm Pulverschnee! Wir hatten eine traumhafte Aussicht, verschneite Berggipfel und eine sagenhafte Landschaft in der Morgensonne – für solche Momente lohnt es sich doch 2600 Meilen zu laufen! Oben auf dem Berg gesellte sich „Duck“ aus Frankfurt zu uns (studierter Mathematiker), den wir gestern im Bus kennengelernt hatten – er geht „nur“ die Oregon/Washington Sektion. 

Es ging dann an den steilen Bergrücken entlang und an der Nordseite über Serpentinen von 7000 ft wieder hinunter auf 3000 ft. 

Die Sonne und der blaue Himmel verzogen sich am Nachmittag leider wieder und es wurde kühler und fing an zu regnen. Hagel gab es auch noch. Da wir ungern oberhalb der Schneefallgrenze campen möchten, schlagen wir unser Lager bereits um 16:30 Uhr an der Glacier Pass Junction auf (5500 ft Höhe).

40 Meilen bis Kanada.

Tag 140

Washington – the Beauty and the Beast. Ich sag’s euch Leute, Washington ist ohne Zweifel weiblich. Den einen Tag lieb, nett, einfühlsam mit Sonne und blauem Himmel – den nächsten Tag grau, kalt, eisig mit Regen- und Hagelschauern. Launisch, wechselhaft und unberechenbar. Du wirst erst geliebt und dann abgestraft – und du weißt nicht mal ob du etwas nicht oder nur falsch gemacht hast …. Ihr seht, ich kenn mich aus ?

Heute gab es auf jeden Fall blauen Himmel satt, zwischendurch mal etwas Wolken, aber die verzogen sich wieder, je länger der Wandertag dauerte … Und der dauerte und dauerte. Irgendwie gab es den angepeilten Campingspot im Tal nicht, also mussten wir den halben Weg zum Woody Pass hinauf um einen (dann aber schönen) flachen Platz für die Nacht zu finden. "Ohm", "Presenté", "Shilo" und ich meisterten satte 29,6 Meilen – teils zusammen, teils solo – aber wir campten zusammen bei Meile 2638,4.

Heute gab es wieder zahlreiche traumhafte Ausblicke zu bewundern – ihr werdet es an den Fotos sehen. Uns kamen 7 oder 8 Hiker entgegen, die gestern den Northern Terminus erreicht hatten und dort umkehrten und nun zurück zum Harts Pass laufen, um dort zu hitchen oder abgeholt zu werden. Nicht jeder PCT-Hiker geht weiter nach Kanada, viele dürfen da auch nicht rein, weil sie kleine Drogen- oder Strassenverkehrsdelikte begangen haben und deshalb den Canada Entry Permit nicht bekommen haben. 

Unglaublich – morgen der letzte Tag auf dem PCT …. und heute die letzte Nacht im Zelt!! Mit einem weinenden und einem lachenden Auge lege ich mich schlafen. Hoffentlich kann ich so überhaupt schlafen?!

11.6 Meilen bis Kanada - "it's getting real"

Tag 141

So – das wird also heute der letzte Tag auf dem PCT – ein nie geträumter Traum neigt sich dem Ende zu. Wir 4 begeben uns um 6:30 Uhr auf den Trail. Trotz der ungeplanten Höhenlage unseres Nachtlagers ist alles trocken geblieben – aber ein bisschen kalt war es schon.

Beim Aufstieg zum Woody Pass auf 7000 ft. fing es wieder an zu schneien, der Abstieg war dann wieder mal ziemlich heikel: eisig und rutschig – aber wir haben auch das gemeistert. Danach ging es durch Wald und Unterholz bergab - Kanada entgegen. Kurz vor der Grenze hörte dann sogar der Regen auf und um 10:33 Uhr war es dann soweit – ich war am Northern Terminus. 

Und "Ohm", der 10 Minuten vor mit das „Monument“ erreicht hatte, lachte sich ’nen Ast, als ich mein Zieleinlauf-Video wiederholen musste, weil ich beim ersten Mal den Aufnahmeknopf nicht gedrückt hatte ….

Unbeschreiblich der Augenblick … nach 141 Tagen und 2.460 Meilen (4.265 KM) am Ziel anzukommen. Ein paar Holzbalken, mitten im Wald. Kurz darauf trafen auch "Presenté" und "Shiloh" ein, später noch "Captain", "Ducky" und der 67-jährige "Fantom".

 

Es war gewaltig und sehr emotional - wir machten die üblichen Fotos, trugen uns ins letzte Trailregister ein, beglückwünschten uns gegenseitig zum Erreichten. Ich trank mit meinem Hikingpartner und Freund Shiloh eine Dose Bier, die ich in Stehekin beorgt hatte. Shiloh und ich machten uns nach 45 Minuten auf dem Weg zum 8 Meilen entfernten Manning Park Ressort. Dort in der Lodge nehmen wir uns ein Zimmer und werden dann um 2 Uhr Morgens mit den Greyhound Bus nach Vancouver fahren und von dort weiter nach Seattle. Alles hat ein Ende …. irgendwann.

0 Meilen bis Kanada



Und hier der Zieleinlauf (take 2) ...

Tag 141+1

Der Bus nach Vancouver sollte eigentlich um 2:00 Uhr an der Lodge starten … ich hab bis dahin trotz des gemütlichen Bettes keine Minute geschlafen. Um 2:45 Uhr kam der Greyhound endlich und fuhr uns schließlich nach Vancouver. Dort hieß es knapp eine Stunde warten und dann ging es mit dem nächsten Bus Richtung Seattle. An der US-Grenze mussten aber erst mal alle aussteigen und durch den Zoll … das dauerte auch wieder eine gute Stunde. Um 11:30 Uhr kamen Shilo und ich schließlich doch noch in Seattle an – eine tolle Stadt in einer tollen Gegend. Schon bei meinem ersten Aufenthalt hier 1986 hat mich die Gegend hier total an das Allgäu erinnert … Berge, Felder, Seen, Landwirtschaft … das hat was.

Wir standen dann beide ziemlich ratlos am Parkplatz des Tukwila International Boulevard Bahnhofs rum, weil unser Motel abseits aller Busse und Bahnen lag – als der Sheriff, der da gerade zufällig parkte, anbot uns dort dahin zu fahren.

Ich: "wow so cool - the first time I drive a police car"!
Sheriff: "Son, you not gonna drive ...."

Shiloh und ich nahmen also hinten auf dem Rücksitz mit den vergitterten Scheiben Platz. Haha, zweitbester Hitch nach dem Pferdetransporter mit Pferd würde ich sagen! Der Sheriff war mega nett und hilfsbereit – er öffnete uns dann schließlich am Motel sogar die hinteren Autotüren … von außen. Nachdem er meine verzweifelten Versuche sie von innen zu öffnen mit einem breiten Grinsen quittiert hatte ...

Da wir hier zwar nah am Flughafen aber sonst weitab vom Schuss sind, haben wir beschlossen bis Montag früh ein Auto zu mieten, um wenigstens etwas mobil zu sein … ohne gleich wieder 25 Meilen laufen zu müssen. 

Und auf gings zum "Walmart Supercenter" … da gibt’s nix, was es nicht gibt løl – Shilo brauchte neue Klamotten für die Reise zu seiner Mutter am Montag, der arme Kerl hat wohl etwas abgenommen.